Leichte Muse von Zemlinsky bis Gershwin
Ja, das gab’s, ist noch wenig erforscht und vieles davon ungehört. Und gar nicht ungehörig, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, bei den Zwölftönern, Umstürzlern und Avantgardisten – gelten sie doch normalerweise als schwere Kost. Aber man lebte ja nicht von der Revolution allein.
Und so verdingten sich Alexander Zemlinsky und Arnold Schönberg zur Jahrhundertwende eine Zeit lang am Wiener Carltheater, studierten Operetten ein, instrumentierten, „mussten auch viel klaviermäßig verschlucken und orchestermäßig herausbrechen.“ ( so Schönberg)
Und los geht’s gleich mit Zemlinskys Lustspiel-Ouvertüre aus 1894/95, die bis dato noch nie zu hören war. Michael Lessky setzte sich sofort auf die Spur und wie von gleich geführter Hand schuf der Verlag Ricordi in Berlin gerade das Notwendige, nämlich die Noten. Dank der Förderung durch den Zemlinsky Fonds konnte das Werk auf diesem Album als absolute Weltpremiere eingespielt werden. Die Entstehung dieser Ouvertüre dürfte mit der Aufführung eines Preisstückes „Der Ring des Ofterdingen“, einem romantischen Minnesängerspiel aus dem Sängerkrieg auf der Wartburg in Zusammenhang gestanden sein, ist aber ein eigenständiges Werk.
Über Zemlinsky lernt Schönberg auch Ernst von Wolzogen kennen. Dieser war damals die Drehscheibe am Unterhaltungssektor und dessen „Buntes Theater“ in Berlin hat Schönbergs „Deutsche Chansons“ (Brettl-Lieder) als „interessante, schöne Kompositionen“ angenommen. Geschrieben hat er sie 1901 allerdings für Felix von Saltens Jung-Wiener Theater. Wolzogen hielt in seinen Memoiren seine Begegnung mit Schönberg fest: „In der Zeit, während wir in Wien am Carltheater gastierten, fiel das jüdische Versöhnungsfest, und Oskar Straus durfte am Abend dieses Tages auf Befehl seines reichen Erbonkels nicht auftreten. Er führte mir als seinen Stellvertreter für diesen Abend einen jungen Musiker zu von kleiner Gestalt, harten Gesichtszügen und dunkler Hautfarbe, dessen Name Arnold Schönberg damals noch gänzlich unbekannt war.“ Zwei besonders humorvolle Lieder, Gigerlette und Arie aus dem Spiegel von Arcadien, ein Langsamer Walzer, sind hier in einer Instrumentalfassung von Scott Dunn zu hören. Zwei Brettl-Lieder schrieb auch Zemlinsky: In der Sonnengasse und Herr Bombardil. Michael Lessky hat diese gemeinsam mit Liebe und Frühling aus den „Liedern aus dem Nachlass“ eigens für dieses Album instrumentiert.
Seiner ersten Operetten schrieb 1902 auch Franz Lehár: die stimmungsvolle Romanze „Schöne Rose, dunkle Rose“ über einen treulosen Ritter ist eine selten zu hörende Preziose aus der Operette „Wiener Frauen“, die sich Ildikó Raimondi für dieses Programm ausgesucht hat. Später komponierte Lehár viele Welthits, und auch Arnold Schönberg hat seine hohe Kunst des Instrumentierens durch zahlreiche Instrumentierungen von Operetten anderer Komponisten gelernt – nicht zu vergessen, er war ja praktisch Autodidakt. Übrigens hält sich in der Wissenschaft hartnäckig das Gerücht, Schönberg habe die „Lustige Witwe“ instrumentiert. Begegnet sind sich beide 1930 in Baden-Baden und Schönberg widmet „dem verehrten, lieben Meister Lehár“ den Klavierauszug seiner Oper „Von heute auf Morgen“: Glückwünsche zu Lehars 60. Geburtstag gab es auch von Alban Berg, dessen Wozzeck Lehár begeistert in Berlin hört. Ildikó Raimondi hat für dieses Album den so genannten „Eva-Walzer“ ‘Wär es auch nichts als ein Traum vom Glück aus der gleichnamigen Operette gewählt.
Nico Dostal, österreichischer Operettenkomponist, der zunächst Kirchenmusik in Wien studierte, hatte 1933 seinen ersten großen Erfolg mit „Clivia“ in Berlin: „Ich bin verliebt“ ist ein besonders stimmungsvolles Lied daraus. Damit sind wir auch mitten in der Zeit der „Silbernen Operette“ gelandet: kein vermeintlicher Gegensatz zur später so genannten „Wiener Schule“. Zemlinsky war erster Kapellmeister an der Volksoper, im Austausch mit Schönberg wurden „Vereine für musikalische Privataufführungen“ gegründet und dort spielte man auch Unterhaltungsmusik, kunstvoll bearbeitet für kleinere Ensembles.
Ist nicht zuweilen bei „großen“ Komponisten auch eine Sehnsucht nach dem Einfachen, Populären zu vernehmen? Und wäre manches Privat- und Liebesleben anders verlaufen – Zemlinsky mit Alma Mahler, Mathilde Schönberg mit Richard Gerstl – wer weiß, in welche Richtung sich die Kreativität der Komponisten entwickelt hätte?
„Ich habe sie immer verteufelt ernst genommen, die heitere Muse.“ Dieses Zitat kann auch als Lebensdevise von Ernst Fischer aufgefasst werden, der in den 30er Jahren vor allem in Berlin tätig war und Gehobene Unterhaltungsmusik, Filmmusiken und Operetten schrieb.
„Musik ist Musik!“ schrieb Alban Berg begeistert auf ein Kärtchen an George Gershwin, der ihn 1928 in Wien besuchte und Kompositionsstunden bei ihm bekommen wollte und dachte, seine eigenen Kompositionen könnten Berg nicht gefallen. Bei jenem Wien-Besuch traf sich Gershwin übrigens auch mit Léhar. In den 30er Jahren war dann Schönberg mit Gershwin in Amerika eng befreundet, Gershwin malt sogar ein Portrait vom Freund und Tennispartner. Anlässlich des Todes von Gershwin 1937 hält Schönberg die Grabrede und reiht ihn unter die „Größten“ ein – ein Attribut, das er nur wenigen zuteilwerden ließ. Im Gedenkbuch an ihn lobt er ihn ausdrücklich auch als Innovator und Schönberg offenbart darin sein tiefes Verständnis eines guten Komponisten: „ein Mensch, der in Musik lebt und alles damit ausdrücken kann, ob seriös oder nicht. Ein Künstler ist für mich wie ein Apfelbaum: wenn seine Zeit kommt, ob er will oder nicht, springen seine Blüten auf und er produziert Äpfel. Wie auch ein Baum nichts weiß oder fragt über den Wert, den Marktexperten ihm zuteilen, so fragt auch ein echter Komponist nicht, ob seine Produkte den Experten der seriösen Künste gefallen. Er fühlt nur, dass er etwas zu sagen hat; (und sagt es.)“
Michael Lessky (Auszug aus dem Booklet)